Andacht zu Ostern 2020

Pfarrerin Heike Becks
über Markus 16, 1 - 8

Liebe Gemeinde!

Ostern 2020 – so anders als sonst: Kein Familientreffen, kein opulentes Festessen im Restaurant, keine Cafébesuch nach einem Rundgang über das Stadtevent, keine Urlaubsreise. Ostern 2020 – diesmal stiller, schlichter – vielleicht konzentrierter, nachdenklicher? Ostern, das Fest der Freude – was bedeutet dies eigentlich?

Im ältesten, uns überlieferten Evangelium, dem Markusevangelium, wird uns das Ostergeschehen folgendermaßen geschildert (Markus 16, 1 – 8):

Wie passt das mit Ostern zusammen?

Das außergewöhnliche Geschehen des Ostermorgens, das Neue, das hier anbricht, ist eben keine Fantasygeschichte, keine Zauberei, die mit einem Schlag alles Dunkle und Traurige, ja sogar den Tod, wegwischt. Nein, Ostern hat zutiefst etwas mit unserem Alltag, mit unserem Lebensgeschehen zu tun – das sehen wir an dieser Geschichte deutlich. Die drei Frauen kommen zum Grab, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Es ist das herkömmliche Ritual, der Totenkult, den sie kennen, um den Abschied von einem geliebten Menschen verarbeiten zu können, um mit dem Verlust fertig zu werden. Und nun passiert das erste Ungewöhnliche: Der Stein, der ihnen so groß und schwer erschien, ist weggewälzt. Das, was ihnen Angst und Sorgen machte, was wie ein großer Brocken auf ihrer Seele lag, ist weggewälzt. Die erste Befreiung ist da. Und vielleicht waren die Frauen erstaunt, dass der Stein fort war, auf jeden Fall aber froh – ein Problem gelöst! Vielleicht wurden sie auch wieder erinnert an das, was Jesus zu Lebzeiten immer wieder versuchte, deutlich zu machen: Habt nur Vertrauen! Vertrauen in Gott, den Vater, der uns und die Welt in seinen Händen hält. Wo doch wir Menschen immer gerne planen und doch nichts in der Hand haben. Gott schenkt unerwartete Wendungen und ungeahnte, neue Möglichkeiten.

Und die Frauen gehen in das Grab, wollen weiter ihrem Ritual nachgehen, das Gewohnte weitermachen. Der weggerollte Stein war noch nicht Anstoß genug, dass sie ins Staunen und Nachdenken kommen. Und so werden sie nun von der Situation überwältigt: Der Leichnam ist nicht mehr da, stattdessen sitzt dort ein Jüngling und erzählt etwas von Auferstehung! Unglaublich! Trauernd kommen die Frauen zum Grab – und dann so etwas! Dass die Frauen zittern und sich fürchten und vor Entsetzen weglaufen, ist doch nur verständlich. In ihre kleine, überschaubare, ritualisierte Welt passt dieses Geschehen nicht hinein. Und darum sagen sie auch niemandem etwas. Rational ist das Geschehen nicht zu begreifen oder gar zu erzählen. Wir würden sicher genauso handeln. Das Ostergeschehen stellt die gewohnten Handlungen und Denkrichtungen auf den Kopf. Es ist unbegreiflich und geheimnisvoll und überraschend – bis heute!

Theresia Hauser beschrieb einmal dieses Geschehen so:

Du kommst
wie wir es nicht
vermuten
Wie ein Blitz
zuckst Du auf
Wie ein Dieb
schleichst Du Dich ein
Kommst
als schmerzende Flamme
als sanftes Licht
oder als Hauch
der unsere Haut streift
Der Tag verliert
seine Gewöhnlichkeit.

„Du kommst wie wir es nicht vermuten“. Auch heute noch! Das ist das Geheimnis von Ostern. Unser Leben kann neu werden. Der gewohnte Weg bricht ab. Und es erschreckt uns vielleicht zunächst einmal, weil wir eben nicht damit rechnen. Ostern heißt auch „Abschied von alten Gewohnheiten, Berechenbarkeiten“. Zeit braucht es, um dies Geschehen zu verarbeiten, wahrzunehmen, anzunehmen. Gottes Wege sind nicht unsere Wege, heißt es schon im Alten Testament bei dem Propheten Jesaja. Doch wir Menschen versuchen es immer wieder, ihn einzupassen in unsere Wege. Oder ihn ganz außen vor zu lassen. Das, was wir nicht berechnen können, verunsichert uns. Darum wollen wir uns ja so gerne absichern und versuchen, alles im Griff zu haben, unser Leben in der Hand zu haben. Und müssen doch immer wieder feststellen – wie eben in der jetzigen Situation – dass wir an unsere Grenzen kommen.

„Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln!“ hat Dietrich Bonhoeffer gesagt. Die Ostergeschichte zeigt uns: Gott ist größer als alles menschliche Erkennen und Ermessen. Die Auferstehung Jesu rührt unsere Seele an und weitet ihren Blick für Gottes Dimension, für sein Reich, das weit über die Grenzen unserer irdischen Welt hinausgeht. Die Auferstehung Jesu will uns wieder die Sinne öffnen, dass wir Menschen sind mit einer Seele, die eingebunden sind in die große Weite von Gottes Schöpfung; will unseren Horizont für die Zwischentöne und –räume in unserem Leben schärfen; für eine Dimension, die immer wieder Mut, Gelassenheit und neue Wege eröffnet.

Ostern – das ist die Freude, dass Gott uns herausholt aus der tiefsten Verzweiflung und uns Perspektive und neues Leben gibt. Kein einfaches Anknüpfen an alte Gewohnheiten, kein einfaches „Weiter so“. Vielmehr ein neuer Blick auf unser Leben in dieser Welt über diese Welt hinaus, der uns Geborgenheit, Zuversicht, Hoffnung geben will.  Lassen wir uns doch in diesen Tagen einmal wieder neu darauf ein: welche Hoffnungsblüten erblühen mir in dieser Zeit, welche neuen Sichtweisen tun sich mir auf! Gehen wir doch auf Entdeckungsreise, betrachten wir einmal aus dem österlichen Blickwinkel unseren eigenen ‚Lebensgarten‘.

Amen.